Morgenpost  26.10.2015  

 

800 Wohnungen auf einer Wiese

Aufstand gegen Flüchtlings-Stadtteil in Billwerder

 Von Stephanie Lamprecht

Wollen keine Großunterkunft für Flüchtlinge in Billwerder (v. l.):   Bernd Dörsing (49), Fräncie Ruta (33),  André Humbert (48),   Andreas Arlet (49)  und Andrea Kerl (57)

 

Wollen keine Großunterkunft für Flüchtlinge in Billwerder (v. l.): Bernd Dörsing (49), Fräncie Ruta (33), André Humbert (48), Andreas Arlet (49) und Andrea Kerl (57)

Foto: Ulrike Schmidt

Gegenwind für den Senat: Während in Neugraben-Fischbek heute Bürger gegen ein großes Flüchtlingsquartier demonstrieren, formiert sich nun auch in Billwerder erbitterter Widerstand gegen ein von der Stadt geplantes Neubaugebiet für Flüchtlinge. 800 Sozialwohnungen für 4000 Menschen sollen binnen wenigen Monaten in der ländlichen Umgebung hochgezogen werden.

 Eine große Kuhwiese im Besitz der Stadt, der S-Bahnhof „Mittlerer Landweg“ direkt nebenan – kein Wunder, dass der Senat in Billwerder den perfekten Standort für eine „Folgeunterbringung“, sprich einen neuen Stadtteil für Flüchtlinge, sieht.

Sechsstöckige Wohnhäuser soll ein Investor aus dem Boden stampfen, dazu Arztpraxen, Einkaufsläden, eine Kita – die komplette Infrastruktur. Eine Grundschule gibt es schon auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Perfekt. Aus Sicht der Stadt.

Die Anwohner jedoch sind angesichts der Dimensionen wie vor den Kopf geschlagen. 1200 Menschen leben hier weit verstreut. 250 wohnen am Mittleren Landweg. Wo der Senat ein riesiges Baugrundstück sieht, sehen die Mitglieder der Bürgerinitiative den letzten natürlichen Korridor zwischen den Naturschutzgebieten „Reit“ und „Boberger Niederung“.

„Hier rasten Zugvögel, die geschützte Uferschnepfe brütet hier“, erklärt Anwohner Bernd Dörsing (49). Derzeit lässt ein Pächter seine Rinder auf der feuchten Wiese weiden. „Der Bezirk Bergedorf hat mehrere kleinere Flächen zur Unterbringung von Flüchtlingen vorgeschlagen“, sagt Ini-Sprecherin Fräncie Ruta (33). Aber der Senat hat das Verfahren an sich gezogen und unter dem Druck der Flüchtlingszahlen eine Großunterkunft beschlossen. Der Bezirk kann die Ansagen von oben nun nur noch ausführen.

„Wie sollen wir Billwerder so eine große Zahl von Menschen integrieren?“, fragt Anwohner André Humbert (48): „Hier entsteht ein neues Ghetto, die Stadt macht genau dieselben Fehler, die man schon früher gemacht hat.“ Die Initiative hat sich jetzt juristischen Beistand geholt, eine Fachanwältin aus der Kanzlei Klemm & Partner. Das ist die Kanzlei, die bereits die Kläger gegen die Unterkunft an der Sophienterrasse vertreten hat und nun auch für die klagenden Bürger von Neugraben-Fischbek tätig ist.

Sie seien dafür, dass Flüchtlingen geholfen wird, betonen die Billwerder Bürger, aber sie haben eine Schmerzgrenze: „560 Menschen können wir integrieren“, sagt Bernd Dörsing. 160 sollen in den Containern der Erstaufnahme neben der Schule untergebracht werden, für 400 könnte die Stadt Häuser am Straßenrand bauen: „Dann bliebe der grüne Korridor erhalten.“